Aktuell ist die Seidenstraße in aller Munde, versucht China doch gerade, die alte Handelsroute, die vor über 2000 Jahren als Verbindung zwischen Asien und Europa einen Grundstein der Globalisierung legte, wiederzubeleben. Mit dem Ausbau einer "Neuen Seidenstraße" hat die chinesische Regierung ein wirtschaftlich ambitioniertes Projekt in Angriff genommen. Im Zuge dieses Projekts gerät auch die historische Seidenstraße wieder in den Blickpunkt. Einblicke in das weite Feld der Seidenstraßenforschung gibt die sechsteilige Vortragsreihe zum Thema "Entangled Exchange: Aktuelle Forschungen zur Seidenstraße zwischen China und Europa", eine gemeinsame Veranstaltung des Konfuzius-Instituts Nürnberg-Erlangen und des Lehrstuhls für Sinologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
Seit Ferdinand von Richthofen im Jahr 1877 den Begriff der Seidenstraße prägte, wurde die Forschung zu Handel, Politik, und kultureller Verwobenheit entlang dieses Netzes von Handelswegen immer wieder inspiriert. Standen die Arbeiten zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch unter dem Zeichen kolonialistischer Expeditionen, ist in den vergangenen Jahrzehnten China führend in der archäologischen Erforschung der Seidenstraße im Tarimbecken. International haben sich Forscherverbünde wie das International Dunhuang Project (http://idp.bbaw.de) entwickelt, welches unter Beteiligung der großen internationalen Sammlungen Manuskripte und archäologische Funde präzise digitalisiert und aufarbeitet. In Deutschland ermöglichen die Akademien der Wissenschaften fundierte Langzeitprojekte (Turfanforschungsstelle, Berlin; Handschriften aus Gandhāra, München; buddhistische Steinschriften, Heidelberg). Durch die international und im deutschsprachigen Raum starke Expertise zur Seidenstraße wird es möglich, transkulturelle Austauschprozesse zu beschreiben, welche in ihrer Komplexität und globalen Vernetzung durchaus Parallelen zu heutigen gesellschaftlichen Entwicklungen erkennen lassen.
Auch im Zuge des wirtschaftlich ambitionierten Projekts einer "Neuen Seidenstraße" von Seiten Chinas gerät die historische Seidenstraße wieder in den Blick: Was prägt die gegenwärtig so starken Forschungen zu den alten Handelswegen? Wie tief verstehen wir die erhaltenen Manuskripte und Inschriften? Was ist das inhaltliche und analytische "Mehr", das uns die Seidenstraßenforschung durch ihre Arbeiten zu sozialem Leben und kulturellen Austauschprozessen ermöglicht? In der Vortragsreihe geben einschlägig arbeitende Wissenschaftler Einblicke in aktuelle Themen der Seidenstraßenforschung.
Die Vortragsreihe hält bis November 2016 die folgenden Themen bereit:
24.05.2016:
Ng Zhiru
Passage to the Land of Bliss: Kṣitigarbha in the Art and Architecture of Dunhuang Mogao Caves
Kollegienhaus, Raum KH 1.013
09.06.2016:
Ralph Kauz
Eine Seidenstraße? Verbindungen von Land- und Seewegen
Kollegienhaus, Raum KH 0.023
23.06.2016:
Peter Kupfer
Weinstraße vor der Seidenstraße: Aspekte der neolithischen und antiken Alkoholkultur Chinas und Eurasiens
Kollegienhaus, Raum KH 0.023
07.07.2016:
Yukiyo Kasai
Old Uyghur Divination Literature and its Development on the Silk Road
Kollegienhaus, Raum KH 0.023
27.10.2016:
Esther-Maria Guggenmos
Seidenstraße – Straße der Gerüche. Der chinesische Buddhismus entlang der Seidenstraße aus olfaktorischer Sicht
Kollegienhaus, Raum KH 1.020
10.11.2016:
Lothar Ledderose
Seidenstraße im Rückwärtsgang. Die Versteinerung buddhistischer Sutren in China
Kollegienhaus, Raum KH 1.020
Ng Zhiru ist Professorin für Religionswissenschaft am Pomona College in Kalifornien und selbst in der buddhistischen Tradition ordiniert. Nach dem Studium in Singapur, Michigan und Arizona spezialisierte sie sich auf dem Gebiet chinesisch-buddhistischer Kunst und Geschichte auf die Frage der Transformation des Buddhismus von Indien nach China entlang der Seidenstraße. Bodhisattva Dizang ist als Beschützer der Unterwelt in China zu einer zentralen Figur religiösen Lebens geworden. Er erlangte diese Rolle allerdings erst nach und nach in einem komplexen Transmissionsprozess, welcher sich in den Mogao-Höhlen bei Dunhuang analysieren läßt. Ng Zhiru hat hierzu einschlägig publiziert (The Making of a Savior Bodhisattva: Dizang in Medieval China, Honolulu 2007) und wird im Vortrag die visuellen und räumlichen Paradigmenwechsel vor Augen führen, die in den Mogao-Höhlen die Wandlung des Bodhisattvas nachvollziehbar machen. Die Mogao-Höhlen gehören mit ihren beeindruckenden Buddha-Statuen, Skulpturen und Wandmalereien seit 1987 zum UNESCO-Welterbe.
Ralph Kauz ist einer der wenigen Sinologen, die durch das zusätzliche Studium der Iranistik zentralasiatische Austauschprozesse entlang der Seidenstraße in großer Tiefenschärfe analysieren können. Nach dem Studium in Stuttgart, Freiburg, Taipeh, München und Teheran, und der Promotion und Habilitation in München war Kauz an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften tätig, bevor er 2010 die sinologische Professur in Bonn annahm. Kauz veröffentlichte u.a. zu chinesisch-islamischen Beziehungen (Politik und Handel zwischen Ming und Timuriden, Wiesbaden 2005), zu Geschichte, Handel und Kultur der Pferde in Asien (Pferde in Asien, Wien 2009), aber auch zur maritimen Seidenstraße (Aspects of the Maritime Silk Road, Wiesbaden 2010). Land- und Seewege der Seidenstraße wurden in der Vergangenheit meist separat betrachtet. Kauz widmet sich im Vortrag der Verknüpfung und dem Zusammenspiel von Land- und Seewegen der Seidenstraße.
Peter Kupfer lehrte von 1980-2012 an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in Germersheim und trug durch seine intensive Forschung, Herausgeberschaften und Funktionen als Vorsitzender des Fachverbandes Chinesisch und der International Society for Chinese Language Teaching wesentlich zur Entwicklung des chinesischen Sprachunterrichts bei (2000 Freundschaftspreis für Sprache und Kultur der VR China, 2012 Friedhelm-Denninghaus-Preis des Fachverbandes Chinesisch). Neben seinen Arbeiten zum Judentum in China (Youtai – Presence and Perception of Jews and Judaism in China, Zürich 2008), widmet er sich gegenwärtig insbesondere der Kultur der Seidenstraße. Kupfer unternahm von 2008-2014 mehrere Forschungsreisen an den zentralasiatischen, chinesischen und iranischen Seidenstraßen. Er ging auch der Rolle des Weins in der chinesischen Kultur nach (Wine in Chinese Culture – Historical, Literary, Social and Global Perspectives, Münster 2010). Die beiden letzteren Themen verbindet er im Vortrag miteinander: Präsentiert werden Ergebnisse, die zeigen, dass die Geschichte der Wein- und Fermentationskultur als pan-eurasisches Ereignis zu interpretieren ist.
Yukiyo Kasai ist Arbeitsstellenleiterin des Akademienvorhabens Turfanforschung an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Der Schwerpunkt von Kasais Forschung liegt in altuigurischer Philologie. Sie beschäftigt sich vor allem mit den altuigurischen buddhistischen Texten in der Berliner Turfan-Sammlung, die im Ergebnis von vier deutschen Expeditionen am Anfang des 20. Jh. aus Zentralasien entstand. Zu ihren Veröffentlichungen gehören "Die uigurischen buddhistischen Kolophone" (Turnhout 2008) und "Der alttürkische Kommentar zum Vimalakīrtinirdeśa-Sūtra" (Turnhout 2011). Die Hoffnungen und Ängste der Bevölkerung spiegeln sich in der Omenliteratur der Seidenstraße wider. Kasai stellt im Vortrag die einschlägigen altuigurischen Texte vor.
Esther-Maria Guggenmos vertritt in Erlangen den Lehrstuhl Sinologie. Sie studierte in Münster, Taipeh und Bonn Sinologie und Religionswissenschaft und spezialisierte sich auf Themen des chinesischen Buddhismus, buddhistische Transmissionsprozesse, sowie damit zusammenhängende Aspekte der Archäologie, Kunst und Kultur der Seidenstraße. Nach der Promotion zum chinesischen Gegenwartsbuddhismus (Ghent) baute sie das Internationale Forschungskolleg in Erlangen mit auf und analysiert in diesem Kontext das Verhältnis des chinesischen Buddhismus zur Divination. Zu ihren Veröffentlichungen zählen "Im Netz des Indra" (zus. mit A. Wilke, Münster 2008), und "'I believe in Buddhism and Travelling' – Denoting Oneself a Lay Buddhist in Contemporary Urban Taiwan" (Würzburg 2016). Als Sprecherin des Arbeitskreises "Religionsästhethik" (DVRW) arbeitet sie zur Welt der Gerüche im chinesischen Buddhismus.
Lothar Ledderose ist Seniorprofessor der Kunstgeschichte Ostasiens an der Universität Heidelberg. Zu seinen Büchern gehören "Mi Fu and the Classical Tradition of Chinese Calligraphy" (Princeton 1979) und "Ten Thousand Things. Module and Mass Production" (Princeton 2000). Er leitet aktuell das Forschungsprojekt der Heidelberger Akademie der Wissenschaften zu den in Stein gemeißelten buddhistischen Sutren in China. 2005 erhielt er den Balzan-Preis.
Veranstaltungsbeginn: jeweils um 18:15 Uhr
Veranstaltungsort:
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Kollegienhaus
Universitätsstraße 15
91054 Erlangen